22. Berlin Marathon 1995

Bericht von Uwe Robra (10/1995)

 
 
 

 

Berlin ist nicht nur eine Reise, sondern auch einen Lauf wert! Dieses Fazit wird jeder ziehen,der sich zu den 16.775 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am 22. Berlin-Marathon aus insgesamt 62 Nationen zählen konnte. Beim größten Stadt-Marathon Deutschlands am 24. September traten unter besten Wetterbedingungen nicht nur sämtliche Weltspitzenläufer an, sondern auch ambitionierte Breitensportler aller Altersklassen. Und natürlich waren auch wieder Leichtathleten des TUS Ricklingen v. 1896 aus Hannover dabei, die sich monatelang auf diesen Tag vorbereitet hatten.

Zum Auftakt wurde am Tag zuvor bereits beim so genannten "Frühstückslauf" zur Generalprobe angetreten, der traditionell und ohne Wettkampfstatus über ca. 6 km vom Charlottenburger Schloß zum Olympiastadion führte. Mit 7.600 Startern ist dieser Begleitlauf bereits eines der größten Volksläufe in Deutschland.

Am Samstag war zunächst das Einchecken in der Deutschlandhalle angesagt. Hier hatte man auch gleich Gelegenheit, sich auf der Sportartikelmesse mit Schnäppchen einzudecken. Die Nudelparty auf dem Vorplatz verpaßte jedem Sportler noch eine tüchtige Portion Kohlenhydrate, während auf der Bühne Interviews mit den Spitzensportlern geführt wurden.

Und am Sonntag Morgen war es dann so weit. Um sechs Uhr aufstehen, ja nicht zu spät frühstücken, um gestärkt aber nicht mit vollem Magen anzutreten! Mit "Öffis" ging es zum Ernst-Reuter-Platz, wo der Treffpunkt am ersten der rund 50 Kleider-Lastwagen verabredet war. Nach einstündigem Umziehen, Einreiben, Aufwärmen und mentalem Vorbereiten viel der Startschuß. Die gewaltigen Menschenmassen setzten sich in Bewegung. Bis die hinteren Blocks über die Startlinien laufen konnten, vergingen aber satte zwei Minuten. Noch waren wir frisch und voller Tatendrang. Die Angehörigen hatten sich schon gleich kurz hinter der Startlinie am Rand mit Kamera und Trillerpfeife postiert, um uns anzufeuern. Kaum waren die Läufer vorbei, düsten die Angehörigen abkürzend zur nächsten Station, wo eifrig weitergejubelt wurde.So hat jeder Läufer neben den Verpflegungspunkten immer wieder ein Zwischenziel gehabt.

Bis km 25 waren wir alle noch recht frisch, aber zur gleichen Zeit waren die Spitzensportler schon auf der Zielgeraden. Sieger wurde der 31-jährige Sammey Lelei (Kenia) mit 2:07:02 Stunden, der damit Jahresweltbestzeit und gleichzeitig die zweitbeste Zeit erzielte, die jemals gelaufen wurde: Er verfehlte den 7 Jahre alten inoffiziellen Weltrekord von Belayneh Dinsamo (Äthiopien, 2:06:50 in Rotterdam) um lediglich 12 Sekunden und verbesserte den Streckenrekord um 65 Sekunden (Südafrikaner David Tsebe, 2:08:07). Lelei, der seit 2 Jahren in den USA zusammen mit Uta Pippig unter Anleitung von Dieter Hogen trainiert, lief ein sehr besonnenes Rennen, ließ sich nicht zwischen km 34 und 38 von dem führenden Belgier Vincent Rousseau (2:07:19, Platz 2) durch Zwischenspurts irritieren und verbesserte seine persönliche Bestleistung um 4 Minuten. Der Vorjahressieger Antonio Pinto (Portugal, 2:08:56) erreichte Platz drei. Bester Deutscher wurde der enttäuschte Stephan Freigang (SC Cottbus, 2:18:27, Olympiabronze 1992) auf Rang 16. Fürdie Superzeit von Lelei haben auch die deutschen WM-Starter Rainer Wachenbrunner (SC Charlottenburg) und Konrad Dobler bis km 10 und danach bis km 25 der Kenianer Godfrey Kiprotich als "Hasen" (Tempomacher) gesorgt.

Den dritten Heimsieg nach 1990 und 1992 konnte die 30-jährige und zur Zeit wohl weltbeste Maratonläuferin Uta Pippig (SCC Berlin) bei den Frauen mit einer Zeit von 2:25:36 verbuchen, mit der sie nach nur 36 Männern durchs Ziel kam. Sie verpaßte zwar den Streckenrekord von Kathrin Dörre-Heinig (Fürth, 2:25:15) um 21 und ihre eigene Jahresweltbestzeit um 25 Sekunden, hat jedoch nach dem Sieg beim New York Marathon 1993 und den Siegen beim Boston-Marathon 1994 und 1995 nun weiter berechtigte Hoffnungen für Olympia 1996 in Atlanta und den 100. Boston-Marathon. Zweite Frau wurde Angelina Kanana (Kenia, 2:27:40) vor der Marokkanerin Maraoui (2:28:18).

Aber nicht nur die Weltspitze ist die Substanz für dieses Riesenereignis, sondern auch die bunte Masse und die großartige Stimmung, z.B. wenn man durch das Brandenburger Tor läuft. Das fantastische Publikum, das entlang der Strecke durch zahlreiche Stadtteile rund 1 Mio. Zuschauer zählte, feuerte nicht nur die Besten an, sondern trug gleichsam durch eine Woge der Begeisterung mit Klatschen, Trommeln, Rasseln, Jubel und Jazzmusik jeden zum Ziel. Diese traditionelle Stimmung hat jeden einzelnen zu besonderer persönlicher Leistung motiviert. Von km 25 bis 35 waren wir TUS-Läufer zwar schon etwas müder, aber es traten noch keine Schwierigkeiten auf. Ab km 35 fängt ein Marathon aber erst an. Hier geht es an die Substanz und die Kämpfernatur ist gefragt. Immer wieder angepeitscht durch die wirklich begeisterte Menge frißt man sich durch jeden Kilometer. Ein 15 km Trainingslauf kam uns hier vergleichsweise wie ein Spaziergang vor. Die letzten 10 km schienen kein Ende nehmen zu wollen. Langsam stellt sich hier ein Röhrenblick ein, alle Ereignisse am Streckenrand nahmen wir nur noch halb wahr. Am schwersten aber war die 2 km lange Zielgerade auf dem Ku-Damm, die"längsten 2 km, die es gibt", schießt es einem - das Ziel schon sichtbar- durch den Kopf . Hier kocht es förmlich in den dicht an dicht gedrängten Zuschauermassen: Anfeuerungsrufe, Dauerklatschen, Musik für jeden!

Die rottrikotierten Ricklinger liefen nach rund 4 Stunden unter dem Zieltransparent am Kurfürstendamm durch, das sich bei der grandiosen Volksfestkullisse wie ein Triumphbogen ausnahm. Und ob Star oder Feierabendläufer, Zwei-, Drei- oder Vierstunden-Absolvent: hier zeigte sich wieder, daß man einen Marathon nicht verlieren kann. Jeder, der die Strecke hinter sich bringt, hat ein unersetzbares Erlebnis verbucht und eine geistige wie körperliche Hochleistung vollbracht!

Allerdings kamen auch ein paar Tausend Teilnehmer nicht vor dem Zeitlimit an oder verließen vorzeitig die Strecke, weil sie nicht hinreichend vorbereitet oder aber verletzt waren oder weil sie sich falsch ernährt hatten. Die zahlreichen Sanitäter, 350 ehrenamtlichen Masseure und über 300 Ärzte hatten manchen Wadenkrampf zu versorgen. Wie auch die übrigen Helfer (insgesamt ca. 3.700), die sich an den Versorgungsstationen mit 70.000 Bananen, ca. 380.000 Trinkbechern mit Tee und Wasser sehr engagiert um die Läufer kümmerten, trugen sie zur sehr gelungenen und routinierten Organisation bei.

Während sich Lelei über eine Sieg-, Zeit- und Streckenrekordprämie von zusammen 106.000 Mark freuen konnte, geben sich die meisten Läufer mit dem Lohn des Spaßes am Sport und des Ansporns zu neuen Taten zufrieden. So weichen die weichen Knie am Ziel sehr bald dem harten Vorsatz zum Start im nächsten Jahr.

Bleibt nur zu hoffen, daß die Veranstalter auch 1996 wieder das Finanzierungskunststück (Etat 1995: 2, 6 Mio. Mark) bewältigen werden. Leider wird bei rückläufiger Sponsorenbeteiligung und dem erstmaligen Verzicht auf TV-Liveübertragung der Leichtathletik keine Chancengleichheit mit ähnlichen herausragenden Sportereignissen zuteil.


Uwe Robra (2. v. l.) beim 21. Berlin-Marathon 1994
Der Berlin Marathon gilt als der größte in Deutschland, gemessen an der Teilnehmerzahl. Meine Startnummer (Uwe Robra) war übrigens "11.401" bei diesem Lauf, hier mit "noch" erhobenem Arm - es waren hier erst ca. 12 km vollbracht!


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